Montag, 16. August 2010

Bauhaus-Ausstellung in Pécs & Cantat 2010


Sonntagabend wurde die große Bauhaus-Ausstellung im Janus-Pannonius-Museum in Pécs und die internationale Chorwoche CANTAT mit über tausend Teilnehmern eröffnet.

JANUS-PANNONIUS-MUSEUM:

Am Bauhaus (Weimar, Dessau, Berlin) lernten und lehrten viele Ausländer.
Für die Nazis war das mit ein Grund für die Verfolgung der Bewegung.

Die Ungarn stellten nach den Österreichern und Schweizern die anteilsmäßig größte Gruppe.
Der bekannteste Bauhaus-Vertreter aus Pécs ist Marcel Breuer, doch es gab noch viele weitere.
1925 etwa kam eine ganze Gruppe junger Maler aus Pécs in Weimar an.
Bald mehr dazu.

Die Vernissage war extrem gut besucht.
Tout Pécs war da:
Dicht gedrängt stand die Menge im Garten des Museums.

Nach einer Stunde Reden strömten Hunderte von Menschen in das Gebäude, um die Ausstellung endlich mit eigenen Augen zu bewundern.

Ich werde sie mir an einem anderen Tag in Ruhe ansehen.

Auf dem Domplatz wurde anschließend die große Chorwoche mit einer allgemeinen Singstunde und einem Konzert eröffnet.

Mit Hilfe eines umfangreichen Gesangbuchs, das Freiwillig verteilten, sangen die angereisten Chöre und das Publikum gemeinsam ungarische und internationale Evergreens vom Spiritual "Let us sing" über "Virágzik a cseresznyefa" bis "Die Nacht ist kommen".

Ich buchstabierte mich durch die ungarischen Weisen.
Das Einsingen soll sich allabendlich wiederholen.
Ich werde wiederkommen
und hoffe auf ein Heimspiel mit der Intonation von "Muss i denn zum Städele hinaus".

Donnerstag, 12. August 2010

Quittungs-Obsession

Die Stadtschreiber-Wohnung füllt sich mit Rechnungen...
Selbst die Klofrau im Bahnhof und der Händler am Markstand drücken mir für Centbeträge eine Quittung in die Hand.

Hier der Beleg für eine Salatgurke für 135 Forint
(das entspricht z.Zt. etwa 45 Cent):



Fein säuberlich mit der Hand ausgefüllt und abgestempelt.

Der Aufwand für das Schreiben der Quittung übertrifft den Kaufvorgang bei Weitem.

Als ich darüber den Kopf schüttele, erfahre ich, dass die Obsession von Angst gespeist ist:
Offensichtlich drohen den Händlern empfindliche Strafen, wenn sie auf Quittungen verzichten.

Dienstag, 10. August 2010

Das Lenau-Haus in Pécs

Das Lenau-Haus in Pécs:

TEIL 2 Johann Habel: Ungarndeutsch - woher, wieso, warum?


Johann Habel stammt aus einer ungarndeutschen Familie.
Er wuchs in einem Dorf in der Nähe von Pécs auf.

Groß-Narad (ungarisch: Nagynyárád) ist eine der vielen Siedlungen, die vor etwa 300 Jahren von Deutschen neu gegründet wurden.

Das Dorf existierte bereits vor der osmanischen Herrschaft, wurde aber entvölkert.
„Mein Bistum ist fast verödet und unbewohnt, deswegen benötigt es gerade solche Leute. Ich erkläre mich bereit, Katholiken deutscher Nationalität aufzunehmen.“
Das schrieb Bischof Radanay schon 1688 an die Hofkammer.
Der habsburgische Kaiser siedelte hier zusammen mit den kirchlichen und weltlichen Grundherren gezielt deutsche Bauern an.

Im 17. und 18. Jahrhundert kamen auf diese Weise etwa eine halbe Millionen deutsche Bauern und Handwerker in das heutige Ungarn.

Bevor die Gegend Ende des 17. Jahrhunderts in die Hand des Hauses Habsburg geriet, hatten in Pécs fast 150 Jahre lang die Osmanen geherrscht.
Zwei Moscheen sind heute die offensichtlichsten Überbleibsel aus dieser Epoche.

Die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Türken hatten die Gegend südlich von Pécs fast vollkommen entvölkert.
Deshalb forcierte der Kaiser das sogenannte „Einrichtungswerk“, die Wiederbevölkerung der frisch eroberten Gebiete.

Die Familien stammten aus dem Elsass, aus Lothringen, aus der Pfalz, dem Saarland, aus Baden-Württemberg, aus Luxemburg, Hessen, Franken und Bayern. Einige kamen auch aus der Schweiz, aus Westfalen, Preußen, Sachsen, Thüringen, aus Österreich, Böhmen und Mähren.

Heute spricht man oft von „Donauschwaben“ oder der „Schwäbischen Türkei“.
Hübsche Schlagwörter, aber leider irreführend.

Zutreffender ist die Bezeichnung als „Stiffoller“ (vom Stift Fulda). In der Gegend um Fünfkirchen kamen viele der Bauern aus der Gegend rund um Fulda, so dass sich hier ein hessisch geprägter Dialekt erhalten hat.
Johann Habels Familie gehört zu den „Stiffollern“.

DIALEKT
Leider habe ich bisher nur zwei Sätze im Dialekt gehört.
Da ich aus Hessen stamme, klangen sie seltsam vertraut.
Ich bin aber nicht sicher, ob ich einem ganzen Gespräch im donauschwäbischen Dialekt folgen könnte.
Demnächst werde ich es ausprobieren.
Ich werde in die kleineren Dörfer rund um Pécs fahren.

Dort gäbe es ein einzigartiges Gemeinschaftsgefühl, schwärmte ein Mitglied der Hannoveraner Minstrels - eine der Volkstanzgruppen, die kürzlich zu dem Jugendtreffen nach Pécs gekommen waren.
Andere beschrieben mir die Dörfer als „lebendige Freilichtmuseen“.
Ich bin gespannt.

Rund um die Weinstraße in Villany stammen viele der Winzer aus ungarndeutschen Familien.
Vielleicht löst der Wein auch meine Zunge und ich kann endlich Ungarisch...

KNOBLAUCH MIT MARMELADE
Einstweilen gebärde ich mich in Geschäften und Lokalen meist wie eine Taubstumme. Mir schwant, wieso im Slawischen der Name für die Deutschen sich von dem Wort für „stumm“ ableitet:
Im Tschechischen etwa werden wir „nemecky“ genannt.
„nemy“ bedeutet „stumm“.
(Erneut muss ich hier die Betonungszeichen schuldig bleiben – die Tastatur gibt sie nicht her.)

Dabei bieten die slawischen Sprachen im Vergleich zum Ungarischen noch relativ viel verbale Anknüpfungspunkte.
Das Ungarische steht zusammen mit dem Finnischen in Europa ganz allein.

Einsam im undurchdringlichen Sprachregen fühle auch ich mich oft.
Besonders, wenn ich mein frisch gekauftes Marmeladenbrot in den Mund schieben will und erst dann merke, dass ich aus Versehen Knoblauchbrot erstanden habe.

Knoblauch mit Marmelade - das hilft zumindest gegen Vampire.
Falls die Blutsauger im Zuge der Stephenie-Meyerisierung der Welt auch nach Transdanubien kommen.

Nabelschau

Pécs liegt nicht nur geographisch auf halben Weg zwischen den beiden anderen Kulturhauptstädten, mitten in Europa,
hier wird auch die eigene Mitte gehätschelt und gepflegt.

Besonders die Männer in Pécs hätscheln und tätscheln gern an ihren Bäuchen herum.

Ein Beispiel:

Mitten auf dem Széchenyi Platz thront ein Mann Buddha-gleich unter den Sonnenschirmen des neuen Cafés.
Er hat sein T-Shirt hochgeschoben, krault sich selbstvergessen den Bauch.

Was für ein Bauch!

Diese Kugel ist das Ergebnis harter Arbeit - viel, sehr viel hat der Mann in sich hinein stopfen müssen, um so ein Musterexemplar zu erhalten.

Stolz hat er das T-Shirt über die Wampe gekrempelt und streichelt seinen Leib.

Auf seinem Rücken lese ich "Security".

Dieser Mann bewahrt also nicht nur die eigene, sondern auch meine Ruhe.

Für das Interview mit dem ungarischen Fernsehen soll der Wachmann sich trotzdem verlagern.
Er paßt nicht ins Bild.

Eigentlich schade - so muss ich seinen Anblick leider der Phantasie überlassen.
Ich traute mich nicht, ihn abzulichten.

Samstag, 7. August 2010

JOHANN HABEL, Leiter des Lenau-Hauses TEIL 1


Johann Habel leitet seit 1996 das Lenau-Haus in Pécs, den Sitz des ungarndeutschen Kulturvereins Nikolaus Lenau e.V..

Das Programm des Lenau-Hauses stellt sowohl ungarndeutsche als auch bundesdeutsche Kultur in allen ihren Facetten vor.
Es gibt Lesungen, Debatten, Konzerte und andere Hochkultur, aber auch Abende, bei denen die Geselligkeit im Vordergrund steht, wie zum Beispiel bei den sogenannten Weinqualifizierungen. Fortbildungen für Deutschlehrer und Erzieher sind ein weiteres Angebot.

Die prosaische Bezeichnung „Geschäftsführer“ allerdings wird Johann Habel nicht gerecht.
Er ist ein Hansdampf in allen Gassen.
Für jemanden wie mich, die auf der Suche nach Geschichten aus Pécs ist, stellt er einen Fund vergleichbar mit dem Grimmschen Goldesel dar.
Wie dem Tier im Märchen die Münzen so fallen Johann Habel die Geschichten aus dem Mund.
Märchen erzählt er allerdings keine. Selbst bei 35 Grad im Schatten behält er die faktischen Zusammenhänge im Blick, erzählt ausschweifend und lebhaft von Vergangenheit und Gegenwart in seiner Heimatregion.

In diesem Blog beschränke ich mich auf einige wenige Stichpunkte, die ich in verschiedenen Einträgen vorstellen will. An anderer Stelle dann mehr.

Donnerstag, 5. August 2010

Das neue Bibliotheks- und Wissenszentrum

Der "Bienenkorb" im Inneren der Bibliothek:

Die neue Bibliothek steht kurz vor der Eröffnung.
Sie ist eins der infrastrukturellen Schlüsselprojekte, die im Rahmen des Kulturhauptstadtjahrs 2010, auch langfristig zur Attraktivität der Stadt beitragen sollen.

Die Bibliothek befindet sich am Rande der Altstadt.
Zusammen mit dem Kongreßzentrum und Konzerthalle sowie dem Zsolnay-Kulturviertel soll eine "Kulturmeile" entstehen und die Innenstadt ausgedehnt werden.

Das Innere des Bienenkorbs ist mit Zsolnay-Fliesen ausgekleidet:


Montag, 2. August 2010

Konzert von Goran Bregovic & his wedding orchestra


Ja, doch, da hinten, der kleine dunkle Kopf auf der Bühne - das ist Goran Bregovic!

Der international vor allem durch die Filme von Emir Kusturica bekannt gewordene Musiker spielte in Pécs am Samstagabend auf dem Domplatz.
Das Konzert kostete keinen Eintritt.

Leider war es etwas regnerisch. Nachmittags gewitterte es sogar. Abends blieb's dann zum Glück trocken.

Angekündigt war der Beginn des Konzerts für 19 h.
Es war wohl naiv von mir zu glauben, dass Herr Bregovic oder eine Vorband dann vielleicht gegen 20 h anfangen würden zu spielen.

Die Hochzeitskapelle gab gegen acht ein kurzes Lied zum Besten, dann folgte ein erneuter Soundcheck, inklusive acapella-Darbietung von Goran Bregovic.

Alles sehr schön und eine beeindruckende Stimme. Nur kurz.

Da ich allein in der Menge stand und mir nach einem Glas Cirfandli doppelt melancholisch zumute war, überließ ich die leere Bühne danach den anderen Zuschauern.

Wahrscheinlich legte die Band bei Einbruch der Dunkelheit los?

Ich werde es wohl nicht mehr erfahren.

Universität Pécs


Der Eingang zur Uni

An der Uni mit Dr. Zsolt Vitári


Dr. Zsolt Vitári stammt aus Pécs.
Er ist Assistent am Stiftungslehrstuhl zur deutschen Geschichte und Kultur im südöstlichen Mitteleuropa.

Heute zeigte er mir das Universitätsgelände an der Ifjúsát utja.
Die Universität Pécs besitzt keinen geschlossenen Campus - darüber seien die Pécser froh, sagte Zsolt Vitári. So verteile sich das Studentenleben über die ganze Stadt. Da Pécs sehr übersichtlich ist, sind die Strecken nicht weit.

Die Pécser Uni bezeichnet sich gern als die älteste und größte Universität des Landes.
Sie wurde 1367 gegründet.
Heute sind etwa 35 000 Studenten hier immatrikuliert.

Viele ausländische Studenten kommen vor allem zum Medizinstudium auf Deutsch oder Englisch nach Pécs.

Die Uni ist auch der größte Arbeitgeber in der Stadt. Dank ihr ist die Arbeitslosenquote in Pécs selbst niedrig. Sie liege bei etwa 6 %, schätzt Vitári Zsolt. In den umliegenden Dörfern gebe es z.T. 20-30 % Arbeitslosigkeit.

Der Stiftungslehrstuhl, an dem Zsolt Vitári arbeitet, erforscht die Geschichte der Deutschen im südöstlichen Mitteleuropa.
Beliebt für Diplomarbeiten sind vor allem Themen im Zusammenhang mit der gezielten Ansiedlung Deutscher vor etwa 300 Jahren sowie die Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg.

Es gibt keine genauen Zahlen, aber Schätzungen gehen davon aus, dass nach 1945 etwa 200 000 Deutsche in Ungarn ausgesiedelt wurden.
Etwas mehr als die Hälfte blieb im Land.
Bei Volkszählungen gaben sie ihr "Deutschtum" nach dem 2. Weltkrieg selten an. Deshalb sind die Zahlen vage.
Nächstes Jahr findet wieder eine statistische Erhebung statt.
Es werde interessant sein zu sehen, ob nun häufiger auch amtlich ein ethnisches Bekenntnis erfolge, meinte Zsolt Vitári. Das wäre dann ein Beleg für ein verändertes gesellschaftliches Bewußtsein.

In seinen Seminaren provoziere er gern mit der Frage, ob es denn nicht eine Schande sei, dass die ungarische Nationalhymne von einem Deutschen stamme?
Die Studenten seien dann sehr verblüfft.
Ihnen sei nicht bewußt, dass der Komponist Ferenc Erkel deutscher Abstammung sei.

Natürlich gehe es ihm nicht um nationale Abgrenzung.
Er persönlich wünsche sich, dass in Ungarn im Geschichtsunterricht nicht immer nur der Fokus auf Großereignissen wie Schlachten gegen "die Türken" oder mit den "Österreichern" liege.

Ein verstärkter Fokus auf Regionalgeschichte und Aufmerksamkeit für die Verdienste anderer Völker am Staat Ungarn sei wichtig.
So hätten zum Beispiel "die Slowaken" Budapest aufgebaut und deutsche Architekten viele Gebäude dort konstruiert.
In der ungarischen Lehre gebe es die Tendenz, dass alle Menschen, die sich als nützlich für das Land erwiesen hätten, "magyarisiert" wurden.

Mit anderen Worten: Wenn ein Ungarndeutscher oder auch ein Roma jemand den Schädel einschlage, sei er ein Angehöriger einer Minderheit.
Wenn er aber eine schöne Kirche baue, sei er natürlich ein Ungar.