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Dienstag, 5. Oktober 2010

"Nicht schlimm - in Mohacs haben wir mehr verloren!"


Wenn etwas schiefgeht in Ungarn, sagen die Leute oft:
"Nicht schlimm - in Mohacs haben wir mehr verloren."

Sie spielen damit auf die folgenschwerste militärische Niederlage des Landes an.

Am 29. August 1526 verlor in Mohacs der Kind-König Ludwig II. gegen die Osmanen.
Er selbst ertrank auf der Flucht in einem Bach.
Die Schlacht dauerte nur eineinhalb Stunden.
Danach waren 18 000 ungarische Soldaten tot.
Das osmanische Heer war ihnen
mit 80 bis 90 000 Mann weit überlegen gewesen.

In den 1970er Jahren entdeckte man in Mohacs die Massengräber von mindesten 15 000 Soldaten.
Für diese wurde die mit magyarischen Holzfiguren und Pfählen ausgestattete Gedenkstätte errichtet.

Die verlorene Schlacht wurde zum geflügelten Wort.
Wenn die Niederlage zu groß ist, rettet einen eben nur Galgenhumor.

So ist das mit Mohacs.
Der Ort liegt etwas östlich von Pécs an der Donau.
Außer für die verlorene Schlacht ist er noch für seine Faschingstraditionen bekannt.

Am Faschingssonntag streifen in Mohacs die Buschos durch die Gassen.

Sie tragen furchterregende, meist dunkelrote Holzmasken, Schaffellkapuzen mit großen Hörnern. Ihre Beine stecken in weißen, meist mit Stroh gefüllten Leinenhosen.
Um die Hüfte haben sie sich Kuhglocken und Schellen gebunden.

Der Legende nach haben die Buschos in dieser Verkleidung mit Gebrüll die Donau überquert und die türkischen Besatzer in die Flucht geschlagen.

Auch heute noch setzen sie am Faschingssonntag von der Donau-Insel mit Kähnen über.
Doch auf ihrem Dreizack steckt heute kein Türkenkopf mehr, sondern ein Faschingskrapfen.

Dienstag, 7. September 2010

Der Balaton heute & Kecskemét 1991


Vor ein paar Wochen war ich zum ersten Mal am Balaton.
Nur eine Stippvisite, dann flüchteten wir über kleine Landstraßen zurück nach Pécs.

Der See scheint fest in deutscher Hand.
Auf dem perfekt geteerten Radweg umkreisen Deutsche das Ufer, sitzen auf den Terrassen in den Weinbergen, campen am Strand.
Angeblich war fast jeder deutsche Ungarnreisende schon an der hiesigen "Badewanne".

Obwohl ich schon kurz nach der Wende zum ersten Mal nach Ungarn gereist bin, war ich noch nie am Plattensee.
Es muss im Frühjahr 1991 gewesen sein, als ich mit dem Bus nach Kecskemét reiste.
Ich besuchte die zehnte Klasse.
Die Reise war Teil der damals neuen Städtepartnerschaft zwischen Rüsselsheim und Kecskemét.
Dunkel erinnere ich mich an den Zwischenstopp in einem grauen, aber faszinierenden Budapest. An die unzähligen Geldwechselangebote auf der Straße. An den Blick auf die Donau von Pest aus, der immer noch derselbe ist.

In Kecskemét wohnte ich bei einer Frau mit einer Tochter in meinem Alter. Ich glaube, wir sprachen Deutsch. Ganz sicher bin ich aber nicht.
Sie drängten mir ihr Schlafzimmer auf und schliefen selbst im Wohnzimmer.
Daran erinnere ich mich sehr gut.
Und an einen rauschenden Festabend auf einem Bauernhof, Kutschfahrten durch die Puszta und Reiten auf einem sehr geduldigen Pferd.
Zum Abschied bekam ich Holzbesteck, das in den ungarischen Farben umwickelt war.

So bleibend wie die Eindrücke damals war mein Tag am Balaton nicht.
Wahrscheinlich besuche ich den See noch einmal in der Nebensaison.

Donnerstag, 19. August 2010

Ungarische Geschichten in Debrecen

Heute eine Folge von:
"Die Welt ist schnell und sie dreht sich überall."

Gestern noch in Debrecen, heute schon in Pécs.

Letztes Jahr im Mai hielt ich in Ostungarn eine Schreibwerkstatt für Germanistikstudenten ab.

Pécs war für mich damals ein unbekannter Fleck auf der Landkarte, ganz weit unten.

In Debrecen sah ich die pensionierten Jobbik-Sympathisanten täglich auf dem Hauptplatz demonstrieren, erfuhr, dass "Direktmarketing" (oder mit anderen Worten: der Verkauf von Zeitschriften-Abonnements an bayerischen Haustüren) ein begehrter Ferienjob sein kann und die Deutsche Telekom ein Callcenter in Debrecen unterhält.

Heute ist die Aufregung in Deutschland über die Jobbik-Wähler groß - und der Rest der ungarischen Bevölkerung, die nicht Jobbik gewählt haben, fühlt sich mit Schlägerbanden und Ewiggestrigen zusammen über den falschen Kamm geschoren.

Mittwoch, 18. August 2010

Neugierige Insulaner - Ungarn und die Poesie

Meine eigene Standortbestimmung in Ungarn ist und wird hoffentlich noch lange nicht abgeschlossen sein. Dieses Blog dient unter anderem als virtueller Notizblock bei meiner Suche.


Die Poesie gehört zu Ungarn wie Paprika, Palinka und Pörkölt … !

Das hat alles etwas mit der "Insel Ungarn" zu tun. Nahezu trotzig hockt es inmitten Europas, ist mit keinem, nimmt man mal die etwas mehr als zeitweilige Zwangsvermählung mit Österreich aus, richtig verwandt. Man wird nur von wenigen verstanden. Diese Isolierung hatte oft tragische Folgen, aber bot den Ungarn auch Chancen. Sie mussten sich Europa hineinholen. Ungarns Dichter hatten dabei natürlich den größten Anteil. Ich vermute, dass kein Land mehr fremde Literatur in die eigene Landessprache übersetzt hat - und es immer tun wird - als Ungarn.

"Ich glaube, die Ungarn haben ein viel, viel sensibleres und ein viel stolzeres Verhältnis zu ihrer Sprache und dann auch zu den Spitzenproduktionen dieser Sprache, zur Literatur als es die Deutschen haben. Das Wahrnehmen ihrer eigenen Literatur ist, glaube ich, hier viel, viel intensiver. Die Klassiker haben hier stärkere Präsenz und die Lyrik hat eine ganz, ganz wichtige Bedeutung, sie spielt häufig in der Entwicklung der Seele, der Herzen eine viel größere Rolle. Da ist das ein fester Baustein, ein Fundamentstein der eigenen Identität. Das sind dann in Deutschland schon mehr der Grenzgänger.

Diese zehn oder fünfzehn Millionen Ungarn auf der Welt sind im Grunde auch gezwungen das ernst zu nehmen, weil das eigentlich die Speerspitze ihrer Identität ist. Und dadurch gib es ein erstaunlich waches literarisches Bewusstsein trotz aller Tendenz, die es natürlich auch in Budapest gibt, dass man nur noch im Internet herum liest und ernsthaft eigentlich keine Bücher mehr liest. Trotzdem hat es die Literatur in Ungarn noch erstaunlich gut - auch unter den jungen Leuten gut."
Quelle: Deutschlandradio

Die zitierte Passage ist dem Manuskript zur oben verlinkten Radiosendung von Holmar Attila Mück entnommen.
Das Statement stammt von Wilhelm Droste, dem Chef des Kaffeehauses Eckermann in der Raday utca im Erdgeschoss des Budapester Goethe-Instituts. Parallel lehrt er Germanistik an der Budapester Universität.