Posts mit dem Label Politik werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Politik werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Ungern in Ungarn?


Ungarn verelendet und verroht.
Die Straßen sind voll Obdachloser.
Arbeitslose Massen drängen über die Grenzen.
Die Herrschaft des Faschismus steht kurz bevor.
Roma und andere Minderheiten werden ermordet.

Wenn ich die deutschen Nachrichten über Ungarn lese, frage ich mich manchmal, ob ich mich in demselben Land befinde oder ob ich einfach in einem watteweichen Kokon, isoliert durch Unkenntnis der Sprache und das sanfte Polster des Stadtschreiber- Stipendiums, lebe?

Dem "Volk aufs Maul schauen" kann ich nicht.
Ich bin auf die Berichte deutschsprechender Bekannter oder deutschsprachiger Medien angewiesen.
So ist mein Blick auf Pécs und Umgebung ein oft auf beobachtete Gesten und Berichte Dritter angewiesener.

Dass vieles im Argen liegt im Staate Ungarn und selbst in Pécs, ist trotzdem auch mir nicht verborgen geblieben.

Ich werde mich aber hüten, an dieser Stelle eine umfassende Analyse abzuliefern. Dazu ist das Thema zu komplex.

Deutsche Journalisten scheinen die Analyse der ungarischen Wirklichkeit aber bereits "im Kasten" zu haben, wenn sie hier ankommen.

Ein Beispiel aus dem "Rüsselsheimer Echo" vom letzten Montag:
Angeblich marschierte vor ein paar Tagen die verbotene rechtsextreme "Nationale Garde" in Pécs auf.
Bis auf den "Ecoh"-Bericht darüber, fand ich vor Ort bislang noch niemand, der sie gesehen hat.

Ich glaube nicht, dass der Journalist gelogen hat.
Wieviele Gardisten auftauchten, woher sie zusammengekarrt wurden und wie lange es dauerte, bis die Polizei einschritt, schrieb er allerdings nicht.

Er fährt fort:
"Tatsächlich ist die Verelendung auf den Straßen von Budapest und Pecs nicht zu übersehen.
Es gibt in Ungarn erkennbar mehr Obdachlose als andernorts in Europa."

Hier kraust sich meine Stirn.
Die Formulierung ist genau so schwammig wie zweifelhaft.
Da die Beobachtung im Ungefähren schwebt, kann ich sie schwer widerlegen.
Mein persönlicher Eindruck ist aber, dass sich in Pécs nicht mehr Obdachlose finden als in Berlin oder Bielefeld.

(Im Webblog des Journalisten ist der gesamte Text zu lesen:
http://kroekel.com/2010/10/12/ratlos-in-ungarn/)

Vor einiger Zeit stellte der Rabbi von Pécs einer Gruppe deutscher Medienvertreter seine Synagoge vor.
Am Vorabend hatte es ein großes Gewitter gegeben.
Der Hagel hatte die Fenster auf der Ostseite der Synagoge zerschmettert.
Alle Journalisten wollten die zerschlagenen Scheiben fotografieren.
Der Rabbi sagte, gern - aber bitte, schreiben Sie: Das Wetter ist verantwortlich, nicht rassistische Angriffe.
Wahrscheinlich hat der ein oder andere Journalist nach dieser Erklärung seine Kamera einfach wieder eingesteckt.
Vielleicht schrieb mancher aber auch, dass der Rabbi von Hagelschäden spreche, ließ die Angabe aber zweifelhaft erscheinen.

Es gibt Rassismus und auch Antisemitismus in Ungarn.
Doch nicht jedes zerschlagene Synagogenfenster kann als Beweis dafür herhalten.
Und viele Zusammenhänge und Hintergründe sind komplizierter, auch widersprüchlicher, als in den deutschen Medien dargestellt.

(Oben ein Link zu einem kritischen, deutschsprachigen Politik-Blog über Ungarn.
"Pusztaranger" verlinkt auch zu zahlreichen anderen interessanten Artikeln -
auch zu dem kostenpflichtigen Adorján-Artikel, dem ich den Titel entlehnt habe und zu einem interessanten Hintergrund-Artikel zur rechtsextremen Jobbik-Partei:
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/print/0016029)

Donnerstag, 19. August 2010

Ungarische Geschichten in Debrecen

Heute eine Folge von:
"Die Welt ist schnell und sie dreht sich überall."

Gestern noch in Debrecen, heute schon in Pécs.

Letztes Jahr im Mai hielt ich in Ostungarn eine Schreibwerkstatt für Germanistikstudenten ab.

Pécs war für mich damals ein unbekannter Fleck auf der Landkarte, ganz weit unten.

In Debrecen sah ich die pensionierten Jobbik-Sympathisanten täglich auf dem Hauptplatz demonstrieren, erfuhr, dass "Direktmarketing" (oder mit anderen Worten: der Verkauf von Zeitschriften-Abonnements an bayerischen Haustüren) ein begehrter Ferienjob sein kann und die Deutsche Telekom ein Callcenter in Debrecen unterhält.

Heute ist die Aufregung in Deutschland über die Jobbik-Wähler groß - und der Rest der ungarischen Bevölkerung, die nicht Jobbik gewählt haben, fühlt sich mit Schlägerbanden und Ewiggestrigen zusammen über den falschen Kamm geschoren.