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Samstag, 16. Oktober 2010

Weltklasse


Im Sozialismus galt Pécs als "der Ort der süßen Verbannung", als Hort für in Budapest in Ungnade gefallene Künstler.
Damals gedieh in der Stadt eine reiche und lebendige Szene. Egal, ob in Musik, Kunst oder Literatur.

Heute rümpfen die Budapester die Nase, besonders im Zusammenhang mit dem Kulturhauptstadtjahr:
"Ist ja alles schön und gut - aber fehlt nicht die Weltklasse?"
Das fragen mich nicht nur Ausländer gelegentlich, sondern auch Ungarn.
Von Provinz ist die Rede, von Jahrmarkttreiben.

Dabei gibt es echte Perlen im Programm.
Aki Takase ist eine davon.
Die japanische Free-Jazzerin lebt seit Jahrzehnten in Berlin.
Dort hätte ich schon längst auf sie stoßen müssen, doch erst in Pécs besuchte ich jetzt eins ihrer Konzerte.

Das Konzert am Freitag war Weltklasse.
Zusammen mit einem Lokalmatador, dem Gitarristen Gábor Gadó, bot die Pianistin einen energiegeladenen, im besten Sinne verblüffenden Abend.
Er fand im Rahmen von "JAZZHID Osijek-Novi Sad-Pécs" statt.
Das Jazzfestival verbindet durch die drei Städte die drei Anrainerstaaten Kroatien, Serbien und Ungarn.

Nach dem Kaufen einer Karte für ein Free-Jazz-Konzert überfällt sicher nicht wenige Angst vor der eigenen Courage.
Böse Vorahnungen durchzuckten auch mich im Foyer des Urania-Kinos, als ich dem Soundcheck lauschte.
Aki Takases Musik bricht beim leisesten Anflug von Melodie ab.
Immer mal wieder kommt ein kleiner Harmonie-Happen, doch in der Hauptsache ist ihr Spiel dissonant, oft brachial, ungestüm, manchmal häßlich. Nichts für Hintergrund-Gedudel.
Als Aufnahme würde es für mich wohl nicht funktionieren.
Doch der Abend mit Gábor Gadó und der Ausnahme-Pianistin am Bösendorfer war ein Genuß.
Trotz kurzer Vorbereitungszeit funktionierte das Zusammenspiel der beiden Musiker.
Gemeinsam balancierten sie auf dem denkbar schmalen Grat zwischen platten Hörvergnügen und puren Lärm und schafften es, in keinen der beiden Abgründe zu stürzen.

Anschließend spielte noch die serbische Combo "Mayoke Group", deren mit sphärischen Synthie-Klägen unterlegter Ethno-Jazzrock den Kinosaal vollends füllte.

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Das Konzert von Takase und Gabó krönte einen mit ungarischer Kuchenkultur in der Konditorei Magda, Kurzausflug zu den Kindergesängen des französischen Komponisten Nicolas Frize auf dem Kossuth tér und der Ausstellungseröffnung des Malers Manfred Karsch im Lenau-Haus prall gefüllten Tag.